Copeland: Ich empfinde es immer als Privileg, ganz alleine auf dem Eis zu sein. Je nach Jahreszeit erfordert das Meereis ein anderes Verhalten. Im Frühjahr ermöglichen mildere Temperaturen, den Fokus weniger auf das Überleben und mehr auf das Beobachten zu legen. Doch am intensivsten habe ich auf dieser Reise die gemeinsame Zeit mit den Inughuit von Qeqertat, den grönländischen Inuit, erlebt. Dieses abgelegene Dorf, eines der nördlichsten in Grönland, liegt auf einer Insel in einem großen Fjord. Bis Anfang Juni ist dieser Fjord zugefroren. Qeqertat ist von der Außenwelt abgeschnitten – zumindest, was herkömmliche Kommunikationsmittel angeht: kein Internet, kein Handynetz, kein Fernsehempfang. Im ganzen Dorf gibt es nur ein Satellitentelefon für Notfälle. Im Winter sinkt die Zahl der Dorfbewohner auf zwölf (im Sommer steigt sie auf das Doppelte, wenn Fischer zu Gast sind). Ich begegnete einem Mädchen namens Kulunnguaq (8), das im Dorf geboren wurde und dort aufwächst. Als eine andere Familie wegzog, wurde sie zum einzigen Kind im Dorf und ihr Schulunterricht gestrichen. Sie war sehr neugierig und folgte mir überall hin. (Mit der Schokolade, die ich ihr gab, hatte das sicher nichts zu tun.) Auf meinem Weg nach Qeqertat besuchte ich das größere Dorf Qaanaaq und begegnete dort einem Biologen, der ermittelte, in welcher Größenordnung POP (Persistent Organic Pollutants – langlebige organische Schadstoffe) in regionalen Speisen enthalten sind. POP sind schlecht wasserlösliche krebserregende Stoffe, die nur sehr langsam abgebaut werden. In wärmeren Breiten gelangen sie ausgehend von landwirtschaftlichen oder industriellen Abflüssen zunächst in Fließgewässer. Doch sie sind so langlebig, dass sie im Fettgewebe von Fischen den Golfstrom hochwandern und dort über die Nahrungskette auch im menschlichen Körper landen. Babys nehmen die Schadstoffe mit der Muttermilch oder bereits durch die Nabelschnur auf, wenn die Mutter Fisch oder Robbenfleisch isst. Zu den möglichen gesundheitlichen Folgen zählen etwa Krebserkrankungen, eine Immunsuppression sowie kognitive und neurobehaviorale Funktionsstörungen. Bei Kulunnguaq wurde eine Residualwirkung von POP nachgewiesen. Sie wurde davon krank, bekam Diabetes. Das ist bemerkenswert bei einem Kind, das sein ganzes Leben tausende Kilometer entfernt von den Orten verbracht hat, an denen diese Chemikalien in die Umwelt gelangen. Einem Kind, in dessen Ernährung kein Zucker und keine Transfette vorkommen. Mir ist dieses Phänomen auch in den nördlichen Gemeinden im kanadischen Nunavut-Territorium begegnet. Diese Beispiele sollten uns mit Blick auf unsere leichtfertigen Entscheidungen und deren zerstörerischen und häufig verborgenen Auswirkungen als Warnung dienen.