Neues entdecken oder Bestehendes optimieren?

Neues entdecken klingt nach spannender Herausforderung, Bestehendes optimieren nach gewöhnlichem Alltag. Erfolgreiche Unternehmen brauchen beides.

Dem Mutigen gehört die Welt. Nie galt das mehr als zu Zeiten der großen Entdecker. Christoph Kolumbus und Vasco da Gama entdeckten neue Kontinente und Seewege. Damit vergrößerten sie die Machtgebiete ihrer Auftraggeber. Und kaum bestand die Verbindung zu den überseeischen Gebieten, gingen diese daran, mit den neu entdeckten Ländern Handel zu treiben oder ihre Seewege zu sichern. Als Unternehmensstrategie würde man ein solches Vorgehen mit „Exploration and Exploitation“ bezeichnen, im Deutschen vielleicht „Entdecken und Erschließen“: Da wird zum einen etwas Neues erforscht, entwickelt oder erfunden, und zum anderen wird versucht, etwas Bestehendes weiterzuentwickeln und zu optimieren.

Beide Strategiebestandteile bergen Chancen und Risiken: Wer etwas Neues, Unbekanntes erkunden will, geht ein hohes Risiko ein. Man weiß nicht recht, was herauskommt. Die Gefahr des Scheiterns ist relativ groß. Dafür gibt es aber die Chance, einen sprichwörtlichen Goldschatz zu finden und außergewöhnlich hohe Gewinne damit zu machen. Demgegenüber scheint die Erschließung von Vorhandenem geradezu als sichere Bank: Man hat etwas, das man noch besser verwerten, vermarkten und weiterentwickeln will. Da man das Geschäft bereits kennt, lassen sich Absatz und Gewinn mit guter Zuverlässigkeit einschätzen. Höhere Gewinne sind aber schwerer zu erwirtschaften, weil man in der Regel gegen Wettbewerber antritt.

Unternehmen, die nicht bei null anfangen, sondern eine lange Geschichte haben wie ZEISS, müssen beides gleichzeitig betreiben, wenn sie ihren Erfolg in die Zukunft fortschreiben wollen. Die Konzentration auf nur einen Teil hat einst erfolgreiche Unternehmen in bedrohliche Krisen gestürzt oder gar ihr Ende bedeutet. Ein Beispiel: Über viele Jahrzehnte war der Versandhändler Quelle sehr erfolgreich und optimierte sein Geschäft. Aber das Unternehmen verpasste die Entwicklung eines neuen Vertriebswegs, des Online-Handels. So konnte ein Unternehmen, das nicht als Wettbewerber angesehen wurde, seine Plattform etablieren und schließlich zum führenden Marktplatz entwickeln: Amazon. Quelle ist heute vom Markt verschwunden. Ein anderes Beispiel ist das Unternehmen Xerox. Dort verstand man es nicht immer ausreichend, aus seinen teils wegweisenden Erfindungen erfolgreiche Produkte zu machen. Das machten andere, zum Beispiel 3com mit der Netzwerktechnik Ethernet.

Stark für die Zukunft

Die Herausforderung für erfolgreiche Unternehmen besteht darin, den Spagat zu schaffen: Es ist auf der einen Seite die Risikobereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen, in kleinen Teams fokussiert Neues zu erkunden, Zeit und Geld in Forschung und Entwicklung zu investieren, ohne eingangs zu wissen, wie es funktionieren wird – zum Beispiel, um eine Neuheit wie High-NA EUV zu entwickeln. Oder mithilfe von gezielten Zukäufen ein neues Terrain zu erkunden und damit ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu erschließen. Das Geschäft mit den Intraokularlinsen (IOL), in das ZEISS vor rund 15 Jahren über Akquisitionen eingestiegen ist, ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Exploration. Denn es sind nicht nur die IOLs an sich, die kontinuierlich Umsatz generieren: Der gesamte Workflow von der Diagnose bis zur Behandlung erschließt zusätzliches Umsatzpotenzial für bestehendes Geschäft und auch mit Verbrauchsmaterialien. Darüber hinaus hat der Vertrieb damit häufiger und enger Kontakt zum Kunden.

Auf der anderen Seite sind es Akribie und Konzentration, Vorhandenes und Bestehendes konsequent im Nutzen zu verbessern, durch Innovationen die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und die Vermarktung voranzutreiben, um Marktanteile zu gewinnen bei gleichzeitiger Steigerung von Produktivität und Effizienz.
 

Entdecken und Verwerten

Die Begriffe EXPLORATION und EXPLOITATION begegnen uns heute eher im Englischen und sind die Substantive zu den Verben „to explore“, auf Deutsch „erforschen, entdecken“, und „to exploit“ „ausschöpfen, verwerten“.

Wie so oft haben beide Wörter einen lateinischen Ursprung: „exploratio“ – Untersuchung, Erforschung und „explicare“ – „erklären, entfalten“.

Unter EXPLORATION versteht man heute im Wesentlichen das Entdecken oder Erforschen von Neuem.

EXPLOITATION meint das Nutzbarmachen oder Verwerten von Bekanntem.