Forschung mit Perspektive

„Gewöhnliche Rose“ – der Name gibt dem Schmetterling etwas Alltägliches. Das mag an seinem Aussehen liegen: pechschwarze Flügel, ein nur punktuell farbiger Körper, verglichen mit der Farbenpracht seiner Artgenossen war Mutternatur nicht sehr gütig zu ihm. Zumindest auf den ersten Blick. Guillaume und seine Kollegen vom KIT wagten einen Zweiten durch das Elektronenmikroskop, was ihre Forschungsarbeit für eine Zeit lang auf den Kopf stellen sollte.

Als promovierter Materialwissenschaftler forschte Guillaume nahezu seine komplette wissenschaftliche Karriere an der Effizienzsteigerung von Solarzellen. Schon während des Masterstudiums in Straßburg, später in der Doktorarbeit an der Uni in Lyon, war er fasziniert von dem Gedanken, sich die Kraft der Natur zunutze zu machen.

Als mir dann ein Kollege von der hohen Menge an Lichtabsorption des Schmetterlings und den unzähligen nanostrukturellen Löchern in seinen Flügeln erzählte, war ich begeistert

Guillaume

Das ist Hochtechnologie im natürlichen Gewand. Und um seine Forschung zu inspirieren, liebt Guillaume den Perspektivwechsel. Die Dinge auch mal von rechts oder links betrachten. Oder eben aus der Sicht eines Schmetterlings. Nachdem er die Löcher in den Flügeln studierte, wollte er sie in der Wissenschaft adaptieren. Sich die Genialität der Natur zu Nutze machen. Quasi auf über vier Milliarden Jahre Forschung zurückgreifen.

Durchbruch in Innovation verwandeln

„Wir haben die Struktur der Flügel auf künstlichem Material imitieren können und eine Dünnschichtsolarzelle damit bestückt. Das Ergebnis war phänomenal“. Bei optimalem Lichteinfall steigert das die Absorption um über 200 Prozent gegenüber herkömmlichen dünnen, absorbierenden Schichten. Die vielen kleinen nanostrukturellen Löcher in den Flügeln des Kaltblüters verhelfen der „gewöhnlichen Rose“ also zu einem hohen Grad an Wärme- und Energiegewinnung. Und Guillaumes Forschung zu einem kleinen wissenschaftlichen Durchbruch.

Doch wissenschaftlichen Durchbruch in Produkte zu verwandeln ist schwierig. Vor allem in der universitären Forschung. „Irgendwann kam der Punkt, an dem ich dachte: Jetzt will ich meine Forschung in Innovationen im Einsatz sehen.“ Also entschloss er sich, die Perspektive zu wechseln. Auch, wenn die sich nur um ein paar Hundert Meter unterschied.

Bestehende Strukturen auf den Kopf stellen

Am ZEISS Innovation Hub in Karlsruhe, nur ein paar Gebäude neben seinem alten Labor, gelingt Guillaume nun der Spagat, angewandte Forschung zu betreiben und gleichzeitig innovative Produkte zu schaffen. Sein Job: Bestehende Materialien und Sensortechniken in neue Anwendungsfelder übersetzen. Sie einmal auf den Kopf drehen und neu ordnen. Die Perspektive wechseln eben.

Welchen Nutzen hat die optische Kohärenztomographie für hochpräzise, industrielle Messinstrumente? Oder wie kann sie in 3-D-Druckverfahren integriert werden? Guillaume betrachtet bestehende Systeme aus einem ungewöhnlichen Winkel. Dafür hat er sein wissenschaftliches Auge lange geschult. „Mich freut es dann immer zu sehen: Ich höre nicht auf zu forschen, nur, weil ich in die Industrie gewechselt bin.“

Das Erfolgsgeheimnis

Damit Guillaume seine Forschungsideen auch umsetzen kann, unterstützen ihn seine weltweit über 30.000 Kollegen. Anwendungsbeispiele, Sackgassen bei der Entwicklung oder Durchbrüche unter dem Mikroskop: „Es ist wirklich wertvoll, auf die große Erfahrung und ein breites Netzwerk zugreifen zu können. So diverse Unternehmen wie ZEISS leben von einem ständigen Wissensaustausch. Und davon profitiere auch ich als Wissenschaftler.“

Das Einbeziehen unterschiedlicher Blickwinkel in seine wissenschaftliche Arbeit bringt also auch Guillaumes persönliche Weiterentwicklung voran. Sein Erfolgsgeheimnis scheint klar: ein Perspektivwechsel hilft. Vielleicht sogar einem gewöhnlich aussehenden Falter zu einem außergewöhnlichen Ruf.

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