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Digitale Brillenanprobe: So entstehen fotorealistische Brillenmodelle

ZEISS Team entwickelt Scanner für 3D-Modelle von Brillengestellen in bislang unerreichter Qualität.

30. März 2022

ZEISS hat die virtuelle Brillenanprobe quasi revolutioniert. Nicht nur mit der Entwicklung des Avatars - auch mit der Erstellung der fotorealistischen 3D-Modelle der Brillengestelle.

Interview mit Armin Eichert

Armin Eichert, Physiker und Projektleiter für den Fassungsscan bei ZEISS, erklärt, wie der Scanner für die 3D-Modelle entwickelt wurde und was die digitalen Fassungen von ZEISS so besonders macht. 

Unsere Ambition war von Anfang an, die beste Lösung zu entwickeln – so nah an die Realität heranzukommen wie möglich.

Armin Eichert

Wie kam es zur Entwicklung des Fassungsscanners zur virtuellen Brillenanprobe bei ZEISS?

Alles fing 2017 mit einem ZEISS Venture, einem internen Start-up an, das hochqualitative, fotorealistische 3D-Scans produzieren wollte. Als konkreter Anwendungsfall wurde das Scannen von Brillengestellen identifiziert. Daher entwickelte sich dieses Venture dann im Bereich ZEISS Vision Care weiter. Dabei haben wirklich alle an einem Strang gezogen und wie ein Start-Up innerhalb ZEISS am Scanner und der Software gearbeitet. Das geschah in Kooperation mit Wissenschaftlern vom ZEISS Innovation Hub @ KIT sowie mit der Konstruktionsabteilung innerhalb unseres Forschungs- und Entwicklungsbereiches und zusätzlich mit Softwareentwicklern von ZEISS Vision Technology Solutions in Bangalore. Das Kernteam bestand aus Physikern und Computer Vision Scientists, also spezialisierten Informatikern. Unsere Ambition war von Anfang an, die beste Lösung zu entwickeln – so nah an die Realität zu kommen wie möglich. Fassungen zu scannen ist allerdings nicht ganz einfach, daher haben wir wirklich viel ausprobiert und verschiedene Scan-Anordnungen und Verfahren getestet, um unsere Qualitätsansprüche zu erreichen. Außerdem sollte das Scanner-System skalierbar sein.

Wofür dienen die digitalen Fassungen?

Die digitalen Fassungen werden in ZEISS Virtual Try-on eingesetzt. Das ist die digitale Fassungsanprobe entweder im Fachgeschäft vor Ort, von zu Hause oder unterwegs. Die digitalen Fassungen werden dabei dem eigenen 3D-Avatar aufgesetzt. Alles in einer Qualität, die es erlaubt, Brillen, sogar Gleitsichtbrillen, von zu Hause aus zu bestellen.

„Unser Ziel: Die beste Lösung entwickeln“

Die 3D-Fassungsmodelle werden für ZEISS Virtual Try-on benötigt. Um vor allem die virtuelle Zentrierung zu gewährleisten, müssen die Fassungen sehr detailliert und maßstabsgetreu gescannt und vermessen werden.

Warum ist es so schwierig, Brillenfassungen zu scannen?

Ein 3D-Scan ist immer eine Momentaufnahme, das heißt in diesem Moment muss alles stimmen. Fassungen eignen sich nicht für einen einfachen Scan, weil das Material zum Teil transparent ist oder weil es stark reflektiert. Es ist daher nicht ganz trivial, Lichtverhältnisse im Scanner zu schaffen, die passen. Die gleichmäßige Beleuchtung im Scanner ist absolut zentral und stellte die größte Herausforderung dar. Darüber hinaus gibt es eine enorme Varianz an Fassungen und deren Materialien, die sich alle unterschiedlich verhalten. Eine weitere Herausforderung war es zum Beispiel, geeignete Umgebungsbedingungen für die Digitalisierung der Brillengestelle zu schaffen, damit alle Arten von Fassungsmodellen mit der gleichen hohen Qualität erfasst werden konnten. Erreicht wurde dies durch viel optisches Know-how, das in verschiedenen Prototypen getestet wurde. Auf der ZEISS Convention 2019 wurden digitale Fassungen erstmalig vor Kundinnen und Kunden demonstriert.

Wie haben die Optiker auf die 3D-Modelle der Brillenfassungen reagiert? Können sie sie heute bereits im eigenen Geschäft einsetzen?

Sie waren bereits damals begeistert. Zusammen mit der Konstruktionsabteilung innerhalb unseres Forschungs- und Entwicklungsbereiches folgten zwei weitere Scanner-Prototypen. Mit dem finalen Scanverfahren haben wir heute bereits mehr als 5.500 hochwertige, präzise und realitätstreue 3D-Fassungmodelle erstellt. Wer als Fachgeschäft die digitale Fassungsanprobe anbieten möchte, braucht als Grundlage die ZEISS VISUFIT 1000 Plattform sowie das dazugehörige Modul „ZEISS Virtual Try-on“. Das ist aktuell in mehr als 30 Ländern verfügbar.

„Unser Ziel: Die beste Lösung entwickeln“

Bis Januar 2022 hat ZEISS bereits 5.500 reale Fassungen in fotorealistische 3D-Modelle umgewandelt. Das Angebot wird laufend erweitert.

Wie genau funktioniert das Scannen von Brillenfassungen bei ZEISS?

Die Details sind natürlich ein Betriebsgeheimnis. Was wir aber sagen können ist, dass wir unter anderem Kameras mit ZEISS Objektiven einsetzen. Mit den Kameras und anderer Hardware führen wir eine Vielzahl von Messungen an den Fassungen durch. Eine eigens entwickelte Software überträgt die Ergebnisse dieser Messungen dann automatisiert in ein weitestgehend fotorealistisches 3D-Modell.

Ist das völlig automatisiert?

Nein, das ist aktuell nicht gänzlich automatisiert. Sobald die erste nahezu fotorealistische Version des 3D-Modell erstellt wurde, startet die Qualitätsprüfung durch Menschen. Ein weltweit agierendes Netz an erfahrenen Grafikdesignerinnen und -designer schaut sich das Modell an, verbessert es, retuschiert wo nötig und sorgt dafür, dass es tatsächlich sehr nah an die Realität herankommt.

Was macht die digitalen Brillengestellen von ZEISS so besonders?

Definitiv die Detailtiefe und die Präzision. Wir haben uns verglichen und können sagen, dass wir im Bereich der virtuellen Fassungen die höchste Qualität im Markt liefern. Konkret bedeutet das, dass kleinste Details, Gravuren oder Oberflächenreliefs, Strukturveränderungen des Materials anhand des 3D-Modells betrachtet werden können. Wie sich das Umgebungslicht am Material spiegelt, wird 1:1 nachgestellt. Natürlich ist es immer noch ein Unterschied, ob ich die Fassungen physisch in meinen Händen halte. Unsere Modelle kommen aber sehr nah an die Realität ran. Ein weiterer Punkt verdeutlicht, wie wichtig für uns Genauigkeit ist: Der Scanner wurde ja für die industrielle Umgebung entwickelt, wo es zu stärkeren Bewegungen im Raum kommen kann. Die Gehäusekonstruktion erfüllt höchste Stabilitätsanforderungen, um die Kameras absolut stabil in ihrer Aufnahmeposition zu halten. Denn bereits kleinste Veränderungen des mechanischen Setups müssten wir neu kalibrieren.

Könnte man den Scanner auch für andere Produkte, die man so detailliert braucht, verwenden?

Der von uns entwickelte Scanner ist momentan ausschließlich auf das Scannen von Brillenfassungen optimiert und genau darauf ausgelegt. Die Technologie wäre, würde man sie weiterentwickeln, jedoch auch in der Lage, andere Objekte fotorealistisch zu scannen.

Das Scanner-System soll skalierbar sein, was bedeutet das genau?

Wir haben mit purem Inhouse Know-how eine echte Schlüsseltechnologie geschaffen, die wir skalieren können. Das bedeutet, wir haben etwas entwickelt, das replizierbar ist. Wir sind in der Lage, Hardware, Software und die Prozesse, ja das gesamte System zu skalieren und damit auch an anderen Standorten verfügbar zu machen. Wir planen weitere Scanner an verschiedenen Standorten, damit wir weltweit schnell agieren können. Mein Ziel ist es, künftig tausende Fassungen pro Monat auf unserem Fassungskatalog zu platzieren.

„Unser Ziel: Die beste Lösung entwickeln“

Reflexionen des Umgebungslichts werden realitätsgetreu dargestellt und selbst kleinste Gravuren, Schriftzüge und sich leicht verändernde Texturen können dargestellt und vergrößert werden.

Das hört sich nach einer unglaublich schnellen Entwicklung an.

Ja, das war in der Tat eine sehr schnelle Entwicklung, aber wir hatten und haben die Zusage und Rückendeckung des Managements und haben das entscheidende Wissen selbstständig entwickelt. Es macht auch wirklich Spaß, Pionier zu sein und mit dem Team an so einer neuen Aufgabe zu arbeiten. Niemand im Projekt hat je in Silos gedacht. Letztlich helfen wir mit den hochqualitativen Fassungsmodellen wiederum, dass unsere Kundinnen und Kunden aus der Augenoptik erfolgreich am Markt bestehen können. Das war und ist für uns alle eine großartige Erfahrung.

Infobox: Vorteile der virtuellen Brillenfassungen von ZEISS

  • Die digitalen Fassungen als Teil von ZEISS Virtual Try-on und ZEISS Virtual Try-on @Home ermöglichen Augenoptikerinnen und Augenoptikern, ein Omnichannel-Angebot umzusetzen. Sie können sich darüber hinaus vom Online-Wettbewerb über die bis dato unerreichte Qualität der digitalen Fassungen, die im Fachgeschäft oder zu Hause/unterwegs anprobiert werden können, abheben. Weiterhin erweitern sie ihr Fassungsportfolio, ohne das eigene Lager vergrößern zu müssen.
  • Fassungshersteller können sichergehen, dass ZEISS die Fassungen digital in höchster Qualität darstellt. Für sie erschließen sich neue Kundengruppen, wenn diese bestimmte Marken als digitale Fassungen erstmalig in ihr Portfolio aufnehmen.
  • ZEISS ermöglicht Verbraucherinnen und Verbrauchern mit Hilfe der digitalen Fassungen als Teil von ZEISS Virtual Try-on @Home den Online-Kauf von qualitativ hochwertigen Brillen über ihre Augenoptikerin/ihren Augenoptiker.
Pressekontakt Miriam Kapsegger

ZEISS Vision Care


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