Gebäude 4.0 – Die Bauwerke der Zukunft werden smart
Interview zum neuen und intelligenten Hightech-Standort in Jena
Der digitale Wandel hat in den letzten Jahren viele Veränderungen in der Gesellschaft hervorgebraucht. Auch Gebäude werden zukünftig durch den Einsatz von digitalen Technologien noch komfortabler, intelligenter und nachhaltiger. ZEISS IT-Experte Dr. Patrick Hahn erzählt, welche smarten Lösungen am neuen Hightech-Standort Jena geschaffen werden sollen.
Digitalisierung betrifft fasst alle Lebensbereiche – auch Immobilien sollen digital werden?
Digitalisierung ist das Credo unserer Zeit. Schaut man sich im privaten Umfeld um, bemerkt man schnell, wie viele analoge Prozesse heute digital sind. Wir tätigen Bankgeschäfte online, kaufen im Internet ein und entsperren unser Smartphone mit Gesichtserkennung. Da ist es nur eine Frage der Zeit gewesen, dass auch Gebäude digital werden.
Man hört heute immer wieder den Begriff ‚Smart Building‘ – was verstehen Sie darunter?
Ein klassisches Gebäude ist nicht besonders schlau. Mit Hilfe von digitalen Technologien lernt es denken und handeln und wird „smart“. Sensoren, die Daten in Echtzeit liefern, können beispielsweise die genaue Nutzung von Flächen und Geräten oder die Veränderung von Zuständen sowie Umwelteinflüssen erfassen – das ist besonders relevant, gerade wenn wir an die sich immer weiter verändernden Lebens- und Arbeitswelten oder effizientere Produktions- und Logistikprozesse denken. Das smarte Gebäude nutzt kontinuierlich seine technischen Daten und steuert damit intelligent die ablaufenden Prozesse – dadurch können Ressourcen flexibel genutzt werden.
Was sicherlich Betriebskosten einspart?
Genau. Letztendlich erreicht man mit einem denkenden und interaktiven Gebäude eine höhere Effizienz, die zu mehr Nachhaltigkeit führt – was für ZEISS ein wichtiger Punkt ist. Der Standort in Jena-Lichtenhain verbraucht heute 60.000 MWh an Energie, das entspricht mehr als 20.000 Tonnen CO2. Um den Verbrauch nachhaltig zu senken, benötigen wir ein dynamisches Energiemanagement, welches den Bedarf an die tatsächliche Nutzung anpasst – nicht nur bei Energie, sondern bei allen Betriebskosten
Wie kann das umgesetzt werden?
Räume ohne Belegung werden beispielsweise automatisch weniger beheizt und belüftet. Ein intelligentes Gebäude steuert sich selbst, reagiert und muss vorausschauen. Wetterdaten von morgen können mit prognostizierter Auslastung kombiniert werden, um das Gebäude bereits heute einzuregeln. Es wird nur genauso viel Energie, Kälte oder Wärme verbraucht wie tatsächlich benötigt wird. Eine smarte Gebäudetechnik erkennt außerdem Störungen automatisch, hat Wartungsarbeiten im Blick und gibt Reparaturen selbstständig in Auftrag.
Ein defekter Aufzug meldet sich also selbst beim Installateur, wenn er kaputt ist?
Vielleicht kann er zukünftig sogar kleinere Reparaturen selbstständig durchführen. Und gleichzeitig dafür sorgen, dass Waren oder Menschen über andere Wege zu ihrem Ziel finden, ohne vom defekten Aufzug aufgehalten zu werden. Mit einer gut vernetzten Gebäudetechnik ist vieles möglich, was wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Die Branche boomt, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Es gibt zahlreiche Anbieter von smarten Einzellösungen. Diese müssen für einen komplett vernetzten modernen Hightech-Standort weiter clever verknüpft werden.
Welche smarten Lösungen wird es am neuen Hightech-Standort geben?
Wir haben unter anderem die Idee, mit einer ZEISS App Nutzer, Haus und Dienste als umfassendes Interaktionsmedium miteinander zu verknüpfen. Diese App könnte auch auf dem privaten Smartphone installiert werden. Anwendungen wären hier intelligente Zugangs- und Schließsysteme oder auch Abrechnungssysteme. Wir wollen die Mitarbeiter von störenden administrativen Tätigkeiten entlasten. Wenn ich zum Beispiel am Morgen ins Büro fahre, könnte mir die App einen Parkplatz, freie Räume und Arbeitsplätze anzeigen. Mit meinem Smartphone käme ich dann ins Gebäude, würde mein Schließfach öffnen oder meine Arbeitszeit erfassen. Mein Mittagessen oder meinen Kaffee würde ich auch mit der App bezahlen. Selbstverständlich würden die Kaffeeautomaten zukünftig ebenfalls vernetzt sein und melden, wenn Bohnen oder Milch nachgefüllt werden müssen.
Müssen personenbezogenen Daten nicht geschützt werden?
Dass sich neue smarte Lösungen auch ohne personenbezogene Daten realisieren lassen, zeigen verbesserte Wärmesensoren oder intelligente Fußböden zur Anwesenheitserkennung. Technisch ist zukünftig sicherlich vieles machbar, aber wir werden nicht alles realisieren. Wir müssen natürlich die Balance zum Datenschutz und zu den gesetzlichen Anforderungen wahren. Und ohne den Betriebsrat sind viele der genannten Möglichkeiten nicht umsetzbar.
Was ist mit dem Thema Industrie 4.0?
Die Produktion am Hightech-Standort wird ebenfalls mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik erweitert, um eine flexiblere und intelligentere Fertigung zu ermöglichen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Einführung eines sogenannten Manufacturing Execution Systems, kurz MES. Dieses Produktionsleitsystem kann die Produktion in Echtzeit steuern und optimieren. Wir haben gerade ein Pilotprojekt mit zwei ZEISS Bereichen und testen das MES von ZEISS. Das System muss zukünftig auch mit dem Neubau vernetzt werden. Die Logistik plant in dem Zusammenhang autonome selbstgesteuerte Transportsysteme, die mit intelligenten Aufzügen und dynamischen Zutrittskontrollen den Weg durch das Gebäude finden. Algorithmen berechnen also ideale Lieferwege.
Könnte die Vernetzung auch über den Hightech-Standort hinausgehen?
Jena erhält in den nächsten sieben Jahren Fördermittel, um zur digitalisierten „Smart City“ zu werden. In welchem Umfang wir den neuen ZEISS Standort mit der Stadt digital vernetzen können, ist heute noch nicht klar. Es gibt aber viele potenzielle Schnittstellen. Mit einem digitalen Informationssystem könnten wir zum Beispiel ein lokales Parkflächenmanagement aufbauen mit dem auch öffentliche Parkplätze bei Bedarf abdeckt werden. Das Mobilitätskonzept sieht auch E-Ladestationen, Fahrzeugidentifikation mit dynamischen Zufahrtsrechten, E-Mobilität sowie eine Mitfahr-App vor. Falls autonome Fahrzeuge den Pilotstatus verlassen, wären auch autonom fahrende Busse zwischen dem neuen und altem ZEISS Gebäude und dem West-Bahnhof denkbar. Das ist aber wirklich noch Zukunftsmusik.
Welche Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden?
Um die notwendige Künstliche Intelligenz und die optimale Vernetzung von Telekommunikation, Energienetz, städtischer Infrastruktur, Mobilität, Produktion, Logistik und Gebäuden zu ermöglichen, ist die fünfte Generation mobiler Datenübertragung 5G essenziell. Glücklicherweise wurde Jena vor ein paar Tagen als eine von zehn deutschen Kommunen in der zweiten Phase des 5G-Innovationswettbewerbs des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur für die Umsetzung des 5G-Projektes ausgewählt. Außerdem müssen wir die Digitalisierung von ZEISS in allen Bereichen weiter vorantreiben, also „make digital part of our DNA“.
Vielen Dank für das Gespräch.