Interview mit Martin van den Brink, Präsident und CTO von ASML
ZEISS Beyond Talks

Interview mit Martin van den Brink, Präsident von ASML1

Martin van den Brink ist Präsident und CTO des führenden niederländischen Halbleiterunternehmens ASML. Hier gibt er Einblick in seine 40-jährige Berufslaufbahn, spricht über den globalen Komponentenmangel und die Zukunft von Silizium und hat Karrieretipps für Berufseinsteiger.

Seit über 175 Jahren stellt man sich bei ZEISS die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern? Diese Vision war für ZEISS der Anlass, in der Gesprächsreihe ZEISS Beyond Talks den Austausch mit Vordenkern und führenden Intellektuellen aus der ganzen Welt zu suchen und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Visionen, ihre Leidenschaften und aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Welt zu sprechen.

Man hört zurzeit viel von Lieferengpässen in der Halbleiterindustrie. Woran liegt das und wie geht es weiter?

Wenn Sie gerade etwas kaufen wollen – beispielsweise ein neues iPhone oder ein neues Auto – kann es sein, dass Sie es nicht bekommen, weil die Elektronik dafür nicht verfügbar ist. Grund ist, dass in immer mehr Produkten immer mehr Elektronik steckt. Es gibt fast nichts mehr, das keinen Internetanschluss und keinen Mikrochip hat.

Im vergangenen Frühjahr war ich bei einer Veranstaltung, auf der Mark Liu, Vorsitzender der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, eine Rede hielt. Er glaubt, dass sich in den kommenden 20 Jahren die energieeffiziente Performance von Mikrochips jedes Jahr um das Dreifache verbessern lässt. Als unserem Kunden müssen wir dem Unternehmen in den nächsten 20 Jahren Lösungen anbieten, die dazu beitragen, das zu erreichen. Ich freue mich sehr über diese langfristige Roadmap. Wenn man jedoch so lange wie ich in der Branche ist – fast 40 Jahre –, dann weiß man, dass wir bei Innovationen einen exponentiellen Verlauf haben. Aber leider verläuft nichts ewig entlang einer exponentiellen Kurve.

Martin van den Brink, Präsident von ASML

Es gibt fast nichts mehr, das keinen Internetanschluss und keinen Mikrochip hat.

Martin van den Brink

Präsident von ASML

Wie gehen Sie im Unternehmen mit dem Wissen um, dass die Dinge weder gleich bleiben noch sich hin zu einem Zustand der Konstanz entwickeln werden?

Bei unserem Vorwärtsstreben müssen wir aufpassen, wie viel Komplexität wir in eine Maschine packen können. Die Komplexität zu beherrschen, ist möglicherweise unsere größte Herausforderung in den kommenden 20 Jahren. Damit meine ich nicht nur die Komplexität in Bezug auf die Anzahl von unterschiedlichen Komponenten, sondern auch in Bezug auf Kosten, Lieferzeiten und Kapazitäten von Lieferanten etc. Wir sehen Grenzen bei der Infrastruktur, mit denen wir intelligenter umgehen müssen, während wir trotzdem weiterhin unsere Kunden mit Lösungen unterstützen.

Es gibt einige Parallelen zwischen der Umweltkrise, der Energiekrise und dem Stepper-Geschäft, in dem ich tätig bin. Als ich bei ASML anfing, konnte man Dinge mit einem zehnköpfigen Team realisieren. Jetzt braucht man dafür 10.000 Leute! Ähnlich ist es bei einer Solarzelle oder einem Windrad. Die Menschen sehen nur die punktuelle Lösung. In Wirklichkeit aber brauchen wir einen systemorientierten Ansatz. Es geht beispielsweise nicht nur um die einzelnen Komponenten, die für ein Windrad erforderlich sind. Es geht darum, wie man alles zu einem Gesamtsystem zusammenfügt. Das wird die Herausforderung der Zukunft sein.

ZEISS Beyond Talks Podcast
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ZEISS Beyond Talks

The Podcast

Der Podcast „ZEISS Beyond Talks“ ist eine Interviewreihe mit führenden Wissenschaftlern, bekannten Künstlern und ZEISS Experten aus aller Welt, die wichtige Meilensteine umspannt. Alle Beiträge suchen Antworten auf die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern?

Glauben Sie, dass das zum Beispiel von der Energiebranche ausreichend erkannt wird und dass die richtigen Schritte unternommen werden?

Ich denke, dass all die einzelnen Technologien, die für das Funktionieren unserer Energieversorgung benötigt werden, bekannt und definiert sind. Wir müssen sie nur auf die richtige Weise miteinander verbinden und alles so ausbalancieren, dass es wirtschaftlich funktioniert.

Wenn Sie sich die Kosten für einzelne Komponenten ansehen, sind diese bereits so niedrig, dass es sich jeder leisten kann, in fast jedes Produkt einen Chip einzubauen, sogar in Kleidung. Das Spielfeld künftiger Innovationen sind folglich die Systeme, mit denen die Daten verarbeitet, Rechenzentren skaliert und Rechenleistung eingesetzt werden bzw. wird.

Wie sehen Sie die Rolle von Silizium in Zukunft?

Ich würde behaupten, dass wir wahrscheinlich niemals ohne Silizium auskommen werden. Allerdings werden wir auch Entwicklungen sehen, die auf Silizium aufsetzen und dazu beitragen, dass Silizium die nächste Leistungsstufe erreicht. Quantencomputer sind ein Beispiel dafür. Sie werden wahrscheinlich nicht in dem Maße relevant werden wie siliziumbasierte Rechner, aber sie werden Teil eines verbesserten Systems sein, das uns zur nächsten Welle führt.

Martin van den Brink, Präsident und CTO von ASML

Die Komplexität zu beherrschen, ist möglicherweise unsere größte Herausforderung in den kommenden 20 Jahren.

Martin van den Brink

Präsident von ASML

Bitte erzählen Sie uns mehr über Ihren beruflichen Werdegang und wie Sie Ihr Wissen über die Jahre aufgebaut haben.

Wahrscheinlich sollte ich jetzt erzählen, dass ich sehr wissenschaftlich vorgegangen bin, um bis zu diesem Punkt zu kommen, und dass ich dabei alle Optionen geprüft habe. Aber so war es nicht. Wenn Sie Elektronik oder Physik studiert haben, gehen Sie in der Regel zu einem der großen Unternehmen. In meinem Fall war das Philips, ein sehr wichtiges Technologieunternehmen in den Niederlanden, von wo ich herkomme. Ich glaube, das erste Jobangebot, das ich von Philips bekommen habe, war im Bereich physikalische Software. Ich lehnte es ab.

Dann erzählte mir jemand von diesem neuen Start-up namens ASML und zeigte mir ein Bild von der Stepperlithographie. Was mich beim Vorstellungsgespräch dort begeistert hat – und weshalb ich mich in Sekundenschnelle für den Job entschieden habe –, war die irrsinnige Menge an Technologie, die hier in einer einzigen Maschine zusammenkommt. Das war nicht nur Software und Elektronik, sondern auch Mechanik, Mechatronik und optische Systeme – also viele verschiedene Disziplinen. Das hat mich sehr fasziniert und den Ausschlag für meine Entscheidung gegeben. Natürlich konnte ich damals nicht ahnen, dass das Unternehmen heute größer als Philips sein würde.

Martin van den Brink, Präsident und CTO von ASML

Nichts verläuft ewig entlang einer exponentiellen Kurve.

Martin van den Brink

Präsident von ASML

Was würden Sie Menschen sagen, die am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen und sich fragen, welche Richtung sie einschlagen sollen?

Ich werde oft gefragt, was man tun muss, um erfolgreich zu sein. Ich denke, an allererster Stelle muss man Spaß an dem haben, was man tut. Viele werden sagen, dass das nicht geht. Nun, wenn Sie dieser Meinung sind, dann sollten Sie nochmal in sich gehen! Man muss es schaffen, dass die Arbeit Freude macht, und dann muss man zeigen, dass man einen Beitrag leisten und etwas bewirken kann.

Der Schlüssel ist nicht, wie man Misserfolg vermeidet, sondern wie man damit umgeht. Wie schnell ist man in der Lage, Dinge zu erkennen und sich einzugestehen, dass man in eine andere Richtung denken muss? Was lernt man aus dem Misserfolg und wie kann er schnell überwunden werden? Außerdem muss man mit Unsicherheit umgehen können. Ich gehöre wohl zu den Menschen, denen es leichtfällt, eine bestimmte Entscheidung zu treffen – und dann gehe ich nach Hause und frage mich: „War das jetzt wirklich die richtige Entscheidung oder sollen wir es nicht doch anders machen?“

Die Roadmaps, denen wir folgen, sind zum Teil 20 Jahre alt. Sie brauchen nicht zu glauben, dass ich damals das richtige Gespür dafür hatte, welche Maschine wir bauen müssen. Das ist ein fortlaufender Prozess, der sich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt.

Über ASML

ASML ist ein niederländischer Anbieter von Lithographiesystemen zur Herstellung von Mikrochips. Das 1984 gegründete Unternehmen beschäftigt heute rund 32.000 Mitarbeitende und erzielte 2021 einen Nettoumsatz in Höhe von 18,6 Mrd. Euro.


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    Das Interview wurde zur besseren Verständlichkeit bearbeitet.