Wenn Yi Zhong-Schipp über Smart Glass und Augmented Reality spricht, klingt das sehr futuristisch und nach ferner Zukunft. Doch es fällt auf: Smarte Scheiben sind längst im Alltag angekommen und verbreiten sich immer weiter. Für die Gruppenleiterin Optikdesign im Bereich Microoptics bei ZEISS ist klar: Smart Glass wird die Welt verändern und ein besseres Leben ermöglichen. Aber wie sieht die Zukunft aus?

Genau genommen ist die Idee smarter Scheiben schon sehr alt. Wer beispielsweise die Märchen der Gebrüder Grimm kennt, dürfte bereits in einem mehr als 200 Jahre alten Werk auf ein erstes Exemplar gestoßen sein: in der Erstausgabe von Schneewittchen aus dem Jahr 1812. Oder worum sollte es sich beim „Spieglein, Spieglein an der Wand“ sonst gehandelt haben, wenn nicht um ein intelligentes Glas?

Smart-Glass-Technologie und Augmented Reality im Smart Home

Etwas später ist Smart Glass auch in Filmen bekannt geworden, zum Beispiel bei Star Trek oder anderen Science-Fiction-Klassikern. Für Yi Zhong-Schipp geht es bei dem Thema allerdings weder um Märchen noch um Kinofilme. Für die Gruppenleiterin Optikdesign im Bereich Microoptics bei ZEISS sind smarte Scheiben längst Realität. Nicht nur in ihrem Job, sondern mittlerweile auch im Alltag vieler Menschen. „Smart Glass kommt Schritt für Schritt in unser Leben“, sagt sie: „Es ist eine Technologie für Jedermann und sie hat das Potenzial, die Welt zu verändern. Viel stärker, als wir das heute vielleicht denken.“ Yi Zhong-Schipp weiß genau, wovon sie spricht: Sie hat in China Physik studiert und wollte ihr Wissen in Deutschland vertiefen. Photonik war eines ihrer Fachgebiete. Also hat sie sich für den Umzug nach Jena entschieden, wo eines der ältesten deutschen Optik-Unternehmen zu Hause ist: ZEISS. Es folgten erst ein Master-Abschluss und dann die Promotion. Seit drei Jahren arbeitet Zhong-Schipp als Optikdesignerin bei ZEISS, seit zwei Jahren ist sie Gruppenleiterin. Nicht nur der Job, auch die Stadt sei ihr ans Herz gewachsen: „Die Berge erinnern mich an meine Heimat“, sagt sie.

Yi Zhong

Das Autofahren wird durch das Smart Glass nicht nur komfortabler, sondern auch sehr viel sicherer.

Yi Zhong-Schipp

Gruppenleiterin Optikdesign im Bereich Microoptics bei ZEISS

Augmented Reality – das Beste aus zwei Welten

Augmented Reality – das Beste aus zwei Welten

An ihrer Arbeit schätze sie besonders, ständig etwas Neues zu lernen. „Ich habe früher viel mit traditionellen optischen Komponenten gearbeitet wie Linsen und Spiegel“, sagt Zhong-Schipp. Im Bereich Microoptics kümmert sie sich nun um eine ganz neue Technologie: Smart Glass. „Das Besondere an Smart Glass ist, dass wir die digitale mit der optischen Technologie in einer Hardware vereinen“, erklärt sie. Das gelingt auf Basis einer patentierten IP-Plattform und mit Hilfe unterschiedlicher mikrooptischer Strukturierungen sowie holographisch-optischer Elemente. So wird jedes Glas oder jede transparente Kunststoffoberfläche zur smarten Applikation, die Nutzer betrachten und mit der sie auch interagieren können. Das ist eine Errungenschaft der Digitalisierung, “der wir uns nicht mehr entziehen können”, wie Zhong-Schipp meint. “Als Ingenieurin hatte ich schon recht früh ein Gespür dafür, was für einen Wandel die Digitalisierung mit sich bringen würde. Deshalb bin ich auch ein großer Fan der Digitalisierung.”

  • Augmented Reality – das Beste aus zwei Welten
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Den Schlüssel zu Innovationen wie dem Smart Glass bietet die Technologie mit der Bezeichnung „Augmented Reality”. Das bedeutet übersetzt so viel wie: erweiterte Realität. Und tatsächlich ist sie genau dies: Eine Realität, die um eine digitale Darstellung auf einer smarten Oberfläche erweitert wird. Zum Beispiel in einem Auto. „Normalerweise schaue ich darin nur auf ein normales Display und muss den Blick von der Straße abwenden, um alle Informationen zu sehen“, erklärt Zhong-Schipp. „Mit Augmented Reality und Smart Glass ist es jedoch möglich, die Display-Darstellungen direkt auf die Windschutzscheibe zu legen.“ Die Navigation etwa würde dann nicht mehr auf einem separaten Bildschirm angezeigt, sondern könnte durch die Scheibe direkt auf die Straße projiziert werden. In Kombination mit künstlicher Intelligenz könnte das Auto lernen, Gefahrenquellen zu erkennen und über ein Hologramm im Dashboard direkt im Blickfeld des Fahrers sichtbar machen. „Das Autofahren wird dadurch nicht nur komfortabler, sondern auch sicherer“, sagt Zhong-Schipp.

Smart Glass erobert den Alltag

Aber nicht nur im Auto, auch im Zuhause kann Smart Glass einen konkreten Nutzen haben. Daniel Gorr beobachtet das jeden Tag. Er ist Marketingchef und leitet den Einkauf bei tink1, einem Experten und Anbieter für Connected Home-Produkte. Er sagt: „Ein intelligentes Zuhause hat viele Vorteile, die jeder individuell an seine Bedürfnisse anpassen kann, mit einem echten Zugewinn an Energieeffizienz, Komfort und Zugänglichkeit.” Das gilt auch für die Anwendungen von intelligenten Oberflächen wie Multifunctional Smart Glass. Zwar seien die beliebtesten Produkte noch in den Bereichen Heizen, Sicherheit, Beleuchtung und Garten zu finden. Aber gerade der Bereich der Unterhaltung, zu dem auch Smart Glass zählt, wird immer bedeutsamer. „Die Technologie entwickelt sich rasant. Da kann ich mir gut vorstellen, dass es bald möglich sein wird, mit Smart Glass sein Zuhause zu steuern und zu überwachen”, sagt Gorr. „So würde das Zuhause interaktiv und die Smart Home-Steuerung noch leichter bedienbar werden."

Smart Home in Zahlen

  • Um 120%

    ist die Zahl der Smart Home-Nutzenden weltweit in den letzten 5 Jahren gestiegen.2

  • 785,16 Millionen

    Haushalte werden in 5 Jahren voraussichtlich Smart Home-Systeme nutzen.2

Smart Glass erobert den Alltag

Dieser Meinung ist auch Christiane Varga. Sie ist Trendforscherin am Zukunftsinstitut in Wien und beschäftigt sich dort in erster Linie mit der Zukunft des Wohnens – und damit auch mit dem Smart Home. Sie sieht den größten Vorteil des intelligenten Zuhauses in der „Vereinfachung eines immer komplexer werdenden Alltags”, sagt sie. Smart Glass könne hier künftig eine echte Unterstützung bieten. Zwar würden sie ihrer Meinung nach im Leben der Menschen im Moment noch keine allzu große Rolle spielen. „Aber diese Entwicklung nimmt in der öffentlichen Wahrnehmung Fahrt auf”, sagt sie. Chancen für die Smart Glass-Technologie erkennt die Trendforscherin vor allem in den Bereichen Gaming, Infotainment, Handel, Arbeiten, Musik, Fotografie und Reisen. „Smart Glass hat das Potenzial, das Smartphone in vielen Bereichen zu ersetzen”, glaubt sie. Entscheidend sei dafür der Schutz sensibler Daten.

Ich will an Dingen arbeiten, die das Leben erleichtern. Wenn auch dank deiner Arbeit Autofahren sicherer wird, eine Ärztin oder ein Arzt Patientinnen und Patienten untersuchen kann, ohne um die halbe Welt reisen zu müssen oder Familien von überall videotelefonieren können, ist das sehr bewegend.

Yi Zhong-Schipp

Gruppenleiterin Optikdesign im Bereich Microoptics bei ZEISS

Viele Technologien, vereint in einer Lösung

Damit noch mehr Menschen Zugang zu diesen Errungenschaften erhalten – dafür arbeiten Yi Zhong-Schipp und ihr Team jeden Tag. „Mit unserer Multifunctional Smart Glass-Technologie wollen wir Mehrwerte schaffen, wo konventionelle optische Systeme an ihre Grenzen stoßen“, betont sie. Das sei im Bereich smarter Oberflächen eine besondere Herausforderung. „Hier geht es nicht nur um eine, sondern um die Verzahnung sehr vieler Technologien“, erklärt Zhong-Schipp. Sie zählt auf: Die Lasertechnik sei wichtig für die Herstellung von Mikrostrukturen. Die Materialentwicklung beantworte wiederum die Fragen nach der richtigen Oberfläche. Zugleich brauche es eine gute Hardware für die Integration auf der Scheibe, wobei die Software entscheidend für die Funktionalität sei.

Den Unterschied macht ZEISS durch die Technologie zur Replikation der Hologramme. „Unsere Systeme sind viel kompakter im Vergleich zu herkömmlichen Systemen”, sagt Zhong-Schipp: „Für Multifunctional Smart Glass braucht man für gewöhnlich sehr große Linsen. Bei uns ist lediglich ein Layer nötig – super leicht und super klein.” Ihr nächstes Ziel sei, diese Technologie zur Serienreife zu bringen: Also smarte Oberflächen mit innovativer Technologie von ZEISS in hoher Qualität auch in Serie fertigen zu können. Dafür komme es auf das Zusammenspiel verschiedener Gewerke an: Elektrotechnik, Maschinentechnik, Qualitätssicherung mit Messtechnik. „Das müssen wir alles berücksichtigen”, sagt die Expertin – „aber wenn uns das gelingt, werden wir in Zukunft in einer komplett anderen Welt leben können.”

Aber so komplex die Entwicklung dieser Lösungen ist, so groß ist auch die Freude, wenn es eine in die Anwendung geschafft hat. „Das ist der aufregendste Moment“, sagt Zhong-Schipp: „Wenn du eines deiner Systeme siehst, dann bist du wahnsinnig stolz.“ Das ist es auch, was sie antreibt: „Ich will an Dingen arbeiten, die das Leben erleichtern. Wenn auch dank deiner Arbeit Autofahren sicherer wird, eine Ärztin oder ein Arzt Patientinnen und Patienten untersuchen kann, ohne um die halbe Welt reisen zu müssen oder Familien von überall videotelefonieren können, ist das sehr bewegend.“ Das klingt märchenhaft, aber auch nach Zukunft.

Im Fokus: Smartes Glas

  • Während elektrochromes Glas für die Transmissionskontrolle nützlich ist, bietet das multifunktionale smarte Glas eine Vielzahl weiterer Funktionen, wie Eye- oder Gesten-Tracking, ohne sichtbare optische Systeme. Multifunktionsglas enthält eine Reihe von integrierten mikrostrukturierten Optiken, die völlig unsichtbar sind. Man kann beliebig große Glasflächen mit vielseitigen Funktionen versehen. Das smarte multifunktionale Glas kann zukünftig gleichzeitig beleuchten, erkennen, filtern und projizieren.

  • Smart Glass hat viele Funktionen. Unter anderem zählt dazu intelligentes Glas, das Informationen anzeigt, seine Farbe ändern kann, transparent oder milchig (undurchsichtig) wird, Nachrichten (mittels Sprachbefehlen) entgegennimmt und ähnlich dem Smartphone als Eingabefläche funktioniert. Weil Glas an unterschiedlichsten Orten zum Einsatz kommt, ist auch die Verwendung von Smart Glass an den verschiedensten Orten denkbar – im Zuhause, am Arbeitsplatz, im Auto, in der Öffentlichkeit – Bahnhof, Flughafen, Einkaufszentrum. Mögliche Einsatzgebiete von Smart Glass im Zuhause sind etwa der Badezimmerspiegel, in der Dusche, in der Küche, im Aufzug, in Fenstern, bei Raum-Trennsystemen, in Brillen, Smartphones und Tablets uvm.

  • Es gibt verschiedene Arten multifunktionalen Glases – je nach Anwendungsgebiet. So kann Smart Glass etwa in der Industrie zum Einsatz kommen und dort zur Optimierung der Prozesse eingesetzt werden. Im Auto können durch Hologramme Informationen zum Beispiel auf die Windschutzscheibe projiziert werden, sodass Autofahrer die Informationen direkt auf der Straße sehen und den Blick nicht mehr abwenden müssen. Gleiches gilt für die Scheiben im Flugzeug-Cockpit. Dank multifunktionalem Smart Glass sind projizierte Tastaturen, holografische Kameras und transparente Bildschirme mit verschiedenen Projektionsebenen heute Realität und Smart Glass damit auch im Consumer-Bereich angekommen. Gleiches gilt im Smart Home für den Einsatz etwa in Spiegeln oder Türen.