Sherry Hormann, deutsch-amerikanische Regisseurin
ZEISS Beyond Talks

Interview mit der deutsch-amerikanischen Regisseurin Sherry Hormann1

Wir trafen die Filmregisseurin Sherry Hormann im legendären Delphi Kino in Berlin. Sie erzählte uns, wie wichtig es ihr ist, individuelle Erfahrungen in den Mittelpunkt zu rücken, ernste Themen auf die Leinwand zu bringen und warum Geschichten uns Menschen schon immer berührt haben.

Seit über 175 Jahren stellt man sich bei ZEISS die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern? Diese Vision war für ZEISS der Anlass, in der Gesprächsreihe ZEISS Beyond Talks den Austausch mit Vordenkern und führenden Intellektuellen aus der ganzen Welt zu suchen und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Visionen, ihre Leidenschaften und aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Welt zu sprechen.

Was treibt Sie an, Filme zu machen?

Ich liebe es, Geschichten zu erzählen. Kinder hören gebannt zu, wenn ihnen Vater, Mutter, Tante oder Geschwister eine Geschichte erzählen. Geschichten holen uns heraus aus dem Alltag und nehmen uns mit in eine andere Welt – schon von Kindesbeinen an.

Dasselbe passiert bei einem Film im Kino. In dem Moment, in dem das Licht ausgeht und sich der Vorhang öffnet, entsteht ein verbindendes Gefühl. Das Publikum erlebt gemeinsam, als Einheit, wie sich eine Geschichte vom Anfang bis zu ihrem Ende entwickelt. Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue, deshalb mache ich Filme.

Erzählen Sie uns bitte, wie Sie zum Film kamen und wie sich Ihre Laufbahn entwickelte.

Ich begann 1991 mit sehr persönlichen Filmen, für die ich mit mehreren wichtigen deutschen Filmpreisen ausgezeichnet wurde. Allerdings kam diese Art Film beim Publikum nicht besonders an, sodass ich 1995 einen Neuanfang mit Komödien wagte, was sehr erfolgreich war. Es ist ein wunderbares Erlebnis, unerkannt den eigenen Film im Kino zu sehen und zu erleben, wie 700 Leute in lautes Lachen ausbrechen.

Irgendwann aber kehrte ich der Filmbranche den Rücken. Ich war fertig damit und zog mich zurück in ein Waldgebiet in den Vereinigten Staaten, mit nichts um mich herum als Bären, Elche und Kaninchen. Nach fünf Jahren hatte ich jedoch genug von der Einsamkeit und beschloss, noch einmal durchzustarten. Zu dieser Zeit begann ich, mich für gesellschaftskritische Filme zu interessieren, und drehte unter anderem den Film „Wüstenblume“. Es ist toll, wenn man die Gelegenheit bekommt, eine neue Perspektive einzunehmen und das, was man zu diesem Zeitpunkt als wichtig erachtet, in den Blick zu nehmen.

Sherry Hormann

Es ist ein wunderbares Erlebnis, unerkannt den eigenen Film im Kino zu sehen und zu erleben, wie 700 Leute in lautes Lachen ausbrechen.

Sherry Hormann

Regisseurin
ZEISS Beyond Talks Podcast
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The Podcast

Der Podcast „ZEISS Beyond Talks“ ist eine Interviewreihe mit führenden Wissenschaftlern, bekannten Künstlern und ZEISS Experten aus aller Welt, die wichtige Meilensteine umspannt. Alle Beiträge suchen Antworten auf die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern?

Erzählen Sie uns bitte mehr zu „Wüstenblume“ und wie der Film mit dem Thema Genitalverstümmelung bei Frauen umgeht.

„Wüstenblume“ ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Filme Veränderungen anstoßen können. Der Film erzählt die Geschichte einer im Exil lebenden somalischen Frau, die sich zum internationalen Topmodel hocharbeitet und öffentlich über weibliche Genitalverstümmelung spricht.

Nachdem wir den Film abgedreht hatten, kehrten wir zum Drehort in Dschibuti zurück, nahe der somalischen Grenze. Wir hatten den Menschen vor Ort bei den Dreharbeiten versprochen, ihnen den Film zu zeigen, wenn er fertig ist. Genitalverstümmelung bei Frauen ist für die Menschen dort ein Tabuthema. Für die Vorstellung in der Wüste haben wir eine riesige Leinwand aufgebaut. Gerechnet haben wir mit vielleicht 50 bis 100 Zuschauern, gekommen sind schlussendlich mehr als 2.000 Nomaden und Dorfbewohner.

Zum Ende des Films hin, während der letzten 15 Minuten, wo es um den beklemmenden Höhepunkt geht und die Szene gezeigt wird, in der die Hauptfigur als Kind verstümmelt wird, herrschte atemlose Stille. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

Als der Film zu Ende war, stand ein Mann auf, ein Nomade, und sagte: „Vielen Dank, ich wusste nicht, dass das bei uns gemacht wird.“ Viele weitere Männer erhoben sich und sagten dasselbe. Ich war total baff.

  • Sherry Hormann, deutsch-amerikanische Regisseurin, im Gespräch mit einem Mann in der Wüste
    Sherry Hormann
  • Sherry Hormann, deutsch-amerikanische Regisseurin, im Gespräch mit einer Frau
    Sherry Hormann
  • Sherry Hormann, deutsch-amerikanische Regisseurin, in einem Zelt in der Wüste
    Sherry Hormann

Wie beeinflusst Sie diese Art des Filmemachens persönlich?

Solche Themen gehen nicht nur unter die Haut, sie gehen einem ganz tief ins Herz.

Bei dieser Art Film kommt es vor allem darauf an, immer weiter zu suchen und zu akzeptieren, dass man die Antwort nicht kennt. Sie zeigen, was Sie sehen. Was andere Menschen dann daraus machen, liegt nicht in Ihrer Hand.

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    Mathias Bothor

Welchen Rat würden Sie jungen Filmemachern geben, die jetzt am Anfang ihrer Laufbahn stehen?

Junge Regisseure sollten individuelle Geschichten, individuelle Perspektiven zeigen. Nichts Allgemeines, denn damit bewegt man sich immer nur an der Oberfläche. Sie sollten auf die Menschen und nicht auf die Themen schauen – das macht einen gewaltigen Unterschied.

Wer als junger Filmemacher anfängt, Menschen zu betrachten und deren individuelle Geschichten zu erzählen, landet irgendwann ganz automatisch bei den großen Themen unserer Zeit wie Rassismus oder Umweltzerstörung.

Wie verändern Ihrer Meinung nach moderne Technologien die Welt des Kinos?

Wenn wir die Menschheitsgeschichte betrachten, so kamen die großen gesellschaftlichen Veränderungen mit der technologischen Entwicklung. Das liegt daran, dass der Mensch über eine besondere Gabe verfügt: Flexibilität. Diese Gabe ist unsere Chance, wir dürfen uns nicht als Opfer der technologischen Entwicklung begreifen.

Jede Technologie, die Dinge verändert, zwingt uns dazu, offen mit ihr umzugehen und sie optimal zu nutzen. Die Digitaltechnik hat den Prozess des Filmemachens ganz wesentlich verändert. So gibt es beispielsweise keine Pausen mehr zwischen den Einstellungen. Du drehst einfach weiter und hast einen wesentlich geringeren Aufwand, um eine Szene für die Darsteller vorzubereiten.

Es gibt jetzt Streaming-Dienste, wir haben YouTube, und es kommen ständig neue Kanäle hinzu. Diese Vielfalt und die technischen Möglichkeiten, ästhetische Anpassungen vorzunehmen oder unterschiedliche Ansätze auszuprobieren, sind doch großartig. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und die neuen Technologien lassen uns das vermeintlich Unmögliche ausloten.

  • Sherry Hormann macht eine Aufnahme von einem Brautpaar vor einer Wand aus Blumen
    Mathias Bothor

Filme und Fernsehsendungen werden heute oft online geschaut. Wie beeinflusst das Ihrer Meinung nach die Zukunft des Kinos und Filmemachens?

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass das Kino überleben wird.

Das Kino ist so lebendig, dass ich nicht glaube, dass es sterben wird. Ich bin überzeugt, dass durch die Qualität des Kinos, für das die Menschen bewusst ihre Wohnung verlassen und Geld ausgeben, um sich einen Film anzusehen –, dass dadurch das Medium Kino sein Ansehen zurückerlangen wird.

Inhaltlich müssen die Filme in Zukunft emphatisch sein, mitfühlend und weltoffen. Wenn Sie jemandem eine Frage stellen, dann hören Sie genau zu, was er oder sie antwortet. Nehmen Sie selbst zurück und sorgen Sie dafür, dass die Menschen einander zuhören.

Making-of

  • Sherry Horman, Making-of in einem Kino
  • Sherry Horman, Making-of in einem Kino
  • Sherry Horman, Making-of in einem Kino
  • Sherry Horman, Making-of in einem Kino

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    Das Interview wurde zur besseren Verständlichkeit bearbeitet.